Informationen zum Fachkreis, der seit Oktober 2020 aus Personen unterschiedlichster Bereiche besteht und Expertise und Strukturen gegen diese Form der Gewalt in Österreich aufbaut, siehe unten.
Wie zu anderen Formen sexualisierter Gewalt und sexueller Übergriffe bietet Selbstlaut kostenlose Beratung, Information und Verdachtsbegleitung sowie Hilfe in Interventionsprozessen auch für Bezugspersonen von durch sexuelle Gewalt in organisierten, rituellen Gewaltstrukturen betroffene Kinder und Jugendliche an.
DEFINITION
Sexuelle Gewalt in organisierten, rituellen Gewaltstrukturen ist eine Form von sadistischer, planmäßiger Gewalt, die systematisch in Netzwerken ausgeübt wird. Betroffene erleben in der Regel seit früher Kindheit von einer Vielzahl von Täter_innen schwere sexuelle, körperliche und psychische Gewalt. Diese Handlungen haben häufig einen stark ritualisierten Charakter (bspw. Opferungen, Zeremonien). Die Familie spielt dabei in den meisten Fällen eine zuführende und destruktive Rolle. In der Regel sind sie – und somit auch die Betroffenen selbst – durch Ideologien in das Netzwerk/die Organisation eingebunden (z.B. in Sekten, Kulten, faschistischen Zusammenschlüssen). Somit wird eine frühkindliche Bindung an Täter_innen und Gruppe gewährleistet.
Geplante, systematische Gewaltanwendung wie sexualisierte Folter, Ekeltraining und Mind-Control-Methoden dienen neben sadistischer (Macht-)Befriedigung mitunter auch als Instrument, um Betroffene langfristig einer umfassenden Kontrolle unterziehen zu können. Diese systematische Anwendung von traumatisierender Gewalt kann zu spezifischen Dissoziationen bis hin zur Aufspaltung von kindlichen Persönlichkeiten in mehrere Persönlichkeitsanteile führen (Dissoziative Identitätsstruktur/Viele-Sein/Multipel-Sein), und wird durchaus gezielt eingesetzt.
Kommerzielle Ziele wie Kinder-/Menschenhandel und der Verkauf von Kinder-Missbrauchs-Material (KMM/oft auch unpassend als „Kinderpornografie“ bezeichnet) spielen in vielen Fällen eine Rolle in den organisierten Netzwerken. Im Zuge der Missbrauchshandlungen werden Betroffene häufig dazu gezwungen, andere (Kinder/Tiere) bis hin zu Tötungsdelikten zu quälen (u.a. zur Herstellung von filmischer Aufzeichnung von Kindstötungen in sog. Snuff-Videos). Betroffene von dieser Art von Gewalt in organisierten, rituellen Gewaltstrukturen bekommen im Laufe der Zeit oftmals tragende Rollen in diesen Netzwerken zugewiesen. Dadurch wird eine ambivalente Anbindung an das Netzwerk hergestellt und die Distanzierung bzw. das Verlassen desselben erschwert.
Fachkreis gegen sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen
Fachkreis-Infoheft in Leichter Sprache, auf Türkisch (TR), Englisch (EN), Bosnisch-Kroatisch-Serbisch (BKS) und Arabisch ebenfalls zum Download:
Sexuelle Gewalt in organisierten, rituellen Gewaltstrukturen ist in Österreich noch weitgehend unbekannt. In fachlich relevanten Bereichen gibt es dazu aktuell wenig Wissen und kaum Vernetzung bzw. Austausch.
Im Herbst 2020 wurde von der Fachstelle Selbstlaut ein interdisziplinärer Fachkreis gegen diese organisierte Form von sexualisierter Gewalt ins Leben gerufen. Gemeinsam mit spezialisierten Organisationen aus dem Kinder- und Jugendschutzbereich sowie mit Fachleuten aus therapeutischen und juristischen Bereichen arbeiten wir daran, Hilfsstrukturen für Betroffene und ihre Unterstützer_innen aufzubauen.
Dabei orientieren wir uns an der Expertise, die seit Jahren in anderen Ländern erarbeitet wurde, um in Österreich zum Thema der sexuellen Gewalt in organisierten, rituellen Gewaltstrukturen einen Prozess anzustoßen, der Personen in Beratungsstellen, therapeutischer Praxis, Justiz, Exekutive und Medizin sensibilisiert, vernetzt und handlungsfähig macht.
Ziele des Fachkreises sind:
- Erstellung von Zielgruppen spezifischem Informationsmaterial
- Aufbau von Beratungsangeboten für Betroffene und Unterstützer_innen
- Konzeptionierung von Weiterbildungsangeboten
- Erstellung von Qualitätskriterien für die Arbeit gegen sexuellen Gewalt in organisierten, rituellen Gewaltstrukturen in Österreich
- Aufbau eines österreichweiten Netzwerks von Fachleuten
- Wissenschaftliche Erschließung und Aufbereitung des aktuellen Forschungsstandes
- Folgende Organisationen sind Teil des Fachkreises:
- ECPAT Österreich – Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Rechte der Kinder vor sexueller Ausbeutung
- Footprint – Betreuung Freiraum und Integration für Betroffene von Frauenhandel und Gewalt
- Hemayat – Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende
- Kriminalprävention Wien
- LEFÖ – Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels
- MA 11 Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien
- Selbstlaut – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen
- Stabstelle für Prävention von Missbrauch und Gewalt, Erzdiözese Wien
- Stationäre Psychotherapie Linz
- Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA)
- Außerdem in freier Praxis:
- Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
- Familienrichterin am Bezirksgericht der Stadt Wien
- Musik- und Bewegungspädagoge
- Rechtsanwältin
- Richterin/Staatsanwältin
- Therapeut_innen
Neu seit August 2023: Infotelefon des österreichischen Fachkreises gegen sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Strukturen
Das Infotelefon dient derzeit noch der Vernetzung von Fachleuten. Es ist KEIN Hilfetelefon, es ist KEIN Beratungsangebot. Dazu fehlen derzeit noch die Fördermittel und personellen Ressourcen. Hier ist dringend die öffentliche Hand gefragt.
Workshops/Seminare für pädagogische Teams und Fachkräfte
In vierstündigen Workshops wird Interessierten ein Grundlagenwissen vermittelt, was unter sexueller Gewalt zu verstehen ist, die in organisierten Strukturen in ritualisierter Weise an Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen durchgeführt wird. Es wird ein Einblick vermittelt, wie diese Strukturen aufgebaut sind und aufrecht erhalten werden und wie sich aufmerksame Pädagog:innen, Bezugspersonen und helfende Menschen und Betroffene selbst Hilfe suchen können.
Terminanfragen für Teams oder Gruppen aus Fachstellen bitte per Mail an office@selbstlaut.org
Einige Links:
Wissensportal: Wissen schafft Hilfe
https://www.wissen-schafft-hilfe.org/
Handreichung „Empfehlungen an Politik und Gesellschaft bei »Sexualisierter Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen«“ des Fachkreis Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen (Deutschland)
https://www.bundeskoordinierung.de/de/topic/51.rituelle-und-organisierte-gewalt.html
Erklärvideo „Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen“ – zur Handreichung (ca. 4 Minuten)
Dieses Video wurde von der Website des Familienministeriums in Deutschland genommen, nachdem es in einer Sendung des ZDF kritisiert wurde. Dieser Sendung sowie einigen anderen öffentlichen Infragestellungen der Existenz sexualisierter Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen in deutschen und schweizer Medien stellen wir eine Stellungnahme des Betroffenenrats in Deutschland vom April 2023 gegenüber:
Organisierte und Rituelle Gewalt in Deutschland – Praxiserfahrungen, Belastungen und Bedarfe von psychosozialen Fachkräften
Zweiteilige Dokumentation von April 2020 – u.a. mit Michaela Huber (je ca. 30 Minuten)
Infoportal Rituelle Gewalt – Gerichtsurteile, wissenschaftliche Arbeiten und aktuelle Meldungen
Viele sein – das Podcast zum Leben mit dissoziativer Identitätsstruktur
https://vielesein.de/startseite
Sabine Weber, Pauline Frei: Support. Ein Leitfaden für den Ausstieg
Österreich: Laurent Ziegler in Ö1
https://oe1.orf.at/programm/20200912/611779/Laurent-Ziegler-ueber-seinen-Glauben
Die Arbeit des Fachkreises wurde im Jahr 2021 durch Mittel des Bundeskanzleramts/Frauenangelegenheiten und Gleichstellung und 2022/23 durch Mittel des Frauenservice der Stadt Wien gefördert.