Sexuelle Bildung

Sexuelle Bildung weckt bei Kindern und Jugendlichen keine „schlafenden Hunde“, sondern gibt ihnen altersgerechte Informationen und respektvolle Begleitung durch die Zeit des Heranwachsens und Entdeckens ihrer Körper und Sexualität. Wenn Kinder und Jugendlichen merken, dass sie mit Eltern und Vertrauenspersonen über ihre Fragen sprechen können und über das, was sie im öffentlichen Leben und in den Medien an sexualisierten Darstellungen oder pornografischen Bildern sehen, sind sie gestärkt gegen Verwirrung, Überforderung und sexuelle Übergriffe.

Hier finden Sie mehrsprachige Informationen zu sexueller Bildung:

(deutsch, englisch, serbokroatisch, türkisch, polnisch)


Wichtige Bereiche der Gewaltprävention und Stärkung von Kindern und Jugendlichen durch sexuelle Bildung

Gefühle

Die Auseinandersetzung mit Gefühlen gehört so selbstverständlich in den Alltag, dass häufig übersehen wird, wie gerade ein sorgsamer Umgang mit Gefühlen aller Art zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen beiträgt und Grundsteine zur Vorbeugung von Gewalt, Selbsthass und Orientierungslosigkeit legt. Auch gegen sexuelle Gewalt sind Hilfestellungen beim Erkennen, Unter-scheiden und Benennen von Gefühlen und sinnlichen Eindrücken wesentlich. Kinder, die ihre Gefühle gut kennen und kommunizieren können, sind für Miss-brauchende nicht „sicher“ und demnach besser vor sexueller Gewalt geschützt bzw. können sie sich schneller anvertrauen und Hilfe holen.

Zustimmung und Grenzen setzen

Zustimmung ist ein positiver Zugang zu Sexualität. Im Fokus steht das Anliegen, bei jedem kleinen Schritt nach Zustimmung zu fragen, um sich behutsam und langsam zu verständigen, wie andere Personen Berührungen erfahren möchten. Zu einer selbstbestimmten Sexualität gehört die explizite Freiwilligkeit und das kommunizierte Einverständnis bezüglich spezifischer körperlicher/sexueller Aktivitäten.
Grenzen setzen ist nicht immer eine einfache Sache und muss von klein auf erlernt und meist bis ins hohe Alter immer wieder aufs Neue geübt werden. Es setzt voraus, die eigenen Gefühle gut zu kennen und artikulieren zu können, möglichst ohne andere Personen zu verletzen oder kränken. Wie schwer ist es nicht für kleine und große Menschen, gerade bekannten und geliebten Personen ein Nein zu sagen – auch aus Angst, diese Person oder ihre Zuneigung zu verlieren. Es ist die alltägliche Aufgabe von Erwachsenen, mit Kindern zu üben, die eigenen und die Grenzen anderer zu respektieren, Stopp fühlen und sagen zu dürfen, aber auch großzügig sein zu können in der Auseinandersetzung mit Schwächeren.

Liebe und Zuneigung

Es geht sowohl um Zuneigung und Liebe zu anderen Personen als auch um die Liebe jedes Kindes zu sich selbst. Leider setzen Personen, die Kinder psychisch oder sexuell missbrauchen, das Wort Liebe oft ein, um sich unentbehrlich zu machen, um zu verwirren und um die eigenen Schuldgefühle zu bekämpfen. Folglich ist es auch ein wichtiger Aspekt von Prävention sexueller und psychischer Gewalt, gerade zum Begriff und Gefühl Liebe Fragen anzubieten, die Unterscheidungen möglich machen.

Liebe ist so ein häufig verwendetes Wort und meint so viel und soll so viel können und ausdrücken und soll alles lösen und soll und soll und soll. Neben einem sehr positiven Verständnis von Liebe ist es wichtig, auch ein Gesprächsfeld mit Kindern zu eröffnen, das es ihnen ermöglicht, zu unterscheiden zwischen einem leeren, hohlen und irreführenden Verständnis von Liebe und einem gefüllten und gute Gefühle machenden Verständnis von Liebe. Viele Kinder erleben Erziehungsberechtigte oder Erwachsene im nahen Umfeld, die einander nicht (mehr) lieben, aber den Schein aufrecht halten. Das ist für Kinder verwirrend und beunruhigend. Hier einmal einen Platz und Raum zu schaffen, um solche Gedanken gemeinsam zu bearbeiten, kann entlastend und stärkend sein. Zudem setzen Erwachsene auch ihren Kindern gegenüber das Wort Liebe oft ein, um sich der Loyalität des Kindes zu vergewissern oder/und um eigene Schuldgefühle unsichtbar zu machen.

Intimität und sexuelle Aktivitäten

Die Scham- und Sprachgrenzen des von zuhause Gewohnten und Erlaubten variieren stark. In verschiedenen Lebenszusammenhängen wird sehr unterschiedlich über Sexualität/en gesprochen oder geschwiegen. Kichern ist ganz normal und erlaubt, ebenso Schweigen, Neugierde, Scham, unbeholfene Fragen, Nichtwissen, große Spannung oder auch ein Unbehagen. Sehr hilfreich ist es, anzusprechen, dass wir selber, die Erwachsenen, womöglich wenig Übung damit haben, über Sexualität und Gefühle dazu zu sprechen. Erzählungen aus der eigenen Kindheit/Jugend darüber, mit wem und wie ein Reden über (kindliche) Sexualität (un)möglich war, erleichtern häufig den Einstieg und stellen Vertrauen her. Das Sprechen über Intimität und sexuelle Aktivitäten lässt sich am schwierigsten in den Alltag zu Hause integrieren. Kinder wenden sich mit Fragen zu Sexualität selten an Eltern oder Autoritätspersonen, sondern eher an Gleichaltrige oder Menschen, die sie nicht jeden Tag treffen (müssen). Dennoch lassen sich immer wieder Freiräume auch zu Hause schaffen.

Exkurs Pornografie: Darüber, was Pornografie ist, gibt es kaum Einigkeit. Es ist schwierig, zu erklären, was Pornografie ist und was nicht. Oft werden Bilder oder Filme von einer Person als pornografisch wahrgenommen, aber von einer anderen nicht. Was aber einigermaßen klar ist, ist, dass die allermeisten pornografischen Darstellungen wenig mit der Realität von Sexualität von den meisten Menschen zu tun haben. Häufig wird in pornografischen Darstellungen ein Bild von Sexualität und Lust festgeschrieben, das mehr mit Macht und Gewalt zu tun hat als mit Sexualität. So wird oft gezeigt, dass Frauen Gewalt erregend finden und es mögen, wenn nur der Mann bestimmt. Auch wird in pornografischen Darstellungen das Glied häufig als größer und länger behauptet, als es wirklich ist. In diesen Darstellungen geht es meistens wenig um Gefühle. Aber besonders ungeeignet für Kinder (und nicht nur für Kinder) ist, dass Pornografie ein wichtiges “Sexualorgan” des Menschen zerstört: die eigene Fantasie, die eigenen Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse. Die werden von überwiegend genormten Bildern überlagert, die dazu gemacht sind, Profit zu machen. Für Kinder ist Pornografie schädlich, weil sie nur für Erwachsenen gemacht ist und häufig Sexualität mit Gewalt verknüpft und so darstellt, als gehöre beides zusammen. Wir empfehlen, auf jeden Fall zu antworten und sich offen zu zeigen, wenn Fragen oder Kommentare von Kindern dazu kommen.

Wörter und Räume

Worte sind Zutaten für eine einvernehmliche und stimmig erlebte Sexualität. Sie können in den Hintergrund treten und die Körper sprechen lassen, aber sie sind Teil dessen, was verhandelt wird, herausgefunden, gewollt oder verneint. Sexualität ist wie eine Sprache, nur mit dem Körper. Es dauert einige Zeit, bis zwei Menschen einander verstehen. Worte können helfen. Können stoppen, wenn etwas nicht passt, können Wünsche und Begehren formulieren, neugierig machen, zueinander hin führen. Können verletzen und öffnen. Wie Berüh-rungen. Und Wörter können wie passende Schlüssel zu verschlossen Türen und Räumen sein. Peinliche Ausdrücke, komische Redewendungen, sexualisierte Schimpfwörter oder unverständliche Fachausdrücke besprechbar zu machen, kann zu einer Entmystifizierung und zu Enttabuisierungen führen, die es ermöglichen, unterschiedliche Themenbereiche, die Kinder in Zusammenhang mit Sexualität sehen, ganz selbstverständlich in alltägliches Geschehen einzubauen. Ausdrücke für Körper- und Geschlechtsteile, Begehrensformen oder sexuelle Aktivitäten gehören also ebenso zu Sexualerziehung wie Zahlen zur Mathematikhausübung. Auch im Zusammenhang mit Vorbeugung von sexu-eller Ausbeutung ist sexuelle Bildung unerlässlich, wird doch gerade ungestillte sexuelle Neugierde von Kindern und jungen Menschen oftmals von Missbraucher(inne)n benutzt, um Kinder in Übergriffssituationen hineinzumanipulieren. Wenn sie gelernt haben, über Themen rund um Intimität und Sexualität zu sprechen und Begriffe für ihre Geschlechtsteile angst- und schamfrei auszusprechen, ist die Hürde, sich im Fall von Übergriffen anzuvertrauen, deutlich niedriger.

Zyklus, Baby & Co

Fast alle Kinder im Volksschulalter kennen ältere Mädchen, die bereits die Regel haben. Viele Schüler_innen haben ein sehr negatives Bild der Monatsblutung (Schmerzen, viel Blut, Tabu, Scham…). Diesem Bild sollte ein positiverer und vor allem leichterer Zugang entgegengesetzt werden. Die Frage, wie Babys eigentlich zu Erwachsenen oder in den Bauch kommen, ist eine, die verständlicher Weise sehr neugierig machen kann. Dass ein so spannendes und faszinierendes Thema von Erwachsenen häufig mit Ausflüchten und Unwahrheiten abgehandelt oder auf ein unbestimmtes Später verschoben wird, ist ein großer Verunsicherungsfaktor für viele Kinder. Geben Sie kurze, aber richtige Antworten auf Fragen rund um Regelblutung, Befruchtung, künstliche Befruchtung, Geburt, Adoption und mehr. Die Vermittlung von diesem Wissen gibt Kindern Sicherheit im Umgang mit Sexualität und biologischen Vorgängen. Es kann sehr entlastend sein, zu hören, auf wieviele verschiedene Arten Erwachsene zu Babies kommen und was Erwachsene mitunter alles unternehmen, um mit einem Kind oder mehreren zusammen zu leben (u.a. Schwangerschaft, Adoption, Pflegekind, künstliche Befruchtung). Aber auch ehrliche Informationen dazu, warum Erwachsene sich dagegen entscheiden, Mutter oder Vater zu werden, können entlastend sein. Es hat nie etwas mit dem Wesen oder Charakter des möglichen Kind an sich zu tun, sondern mit Umständen, mit Beziehungen der Erwachsenen untereinander, mit gesellschaftlichen Anforderungen und Erwartungen.

Jeder Körper ist anders. Jeder Körper ist richtig.