Unser Verständnis von Prävention

Wie sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorbeugen?

Unser Verständnis von sinnvoller Prävention basiert auf der Tatsache, dass Kinder und Jugendliche, die sich frei, sicher und stark fühlen, weniger häufig von sexueller Gewalt betroffen sind und/oder sich nach Übergriffen schneller Hilfe holen können.

Die Verantwortung allerdings, Kinder und Jugendliche vor sexuellem Missbrauch zu bewahren, liegt ausschließlich bei uns Erwachsenen; auch, wenn wir Kindern verschiedene Handlungsmöglichkeiten in die Hand geben können. Aus diesem Grund ist es notwendig, sich über sexuellen Kindesmissbrauch und wie diesem vorgebeugt werden kann, zu informieren.

Sexueller Missbrauch wird überwiegend im Familien- und Bekanntenkreis allermeist von Männern verübt und ist immer mit Geheimhaltung verbunden. Die Tatsache, dass ein bekannter, vertrauter oder geliebter Mensch seine Machtposition als Erwachsener zur eigenen sexuellen Erregung ausnutzt, führt immer zu einer großen Gefühlsverwirrung auf Seiten der betroffenen Kinder und Jugendlichen.

Es gibt keine Patentrezepte gegen diese Art der Ausbeutung von Menschen.

Aber es gibt vielfältige Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche zu unterstützen und aktiv in ihren Wahrnehmungen und Gefühlen zu stärken.

Es geht in der Vorbeugung deshalb auch nicht um Anweisungen, Warnungen oder Verbote, sondern um eine Haltung Kindern gegenüber, die Offenheit, Geborgenheit und Respekt lebt. Trotz aller Sorge um das Kind soll Selbständigkeit gefördert werden.

Wirksame Prävention muss daher über die verschiedenen Arten von Grenzverletzungen aufklären, den Kindern und Jugendlichen Mut machen, ihren Gefühlen zu trauen und sich Hilfe zu holen, sie auf ihre Rechte um körperliche und sexuelle Selbstbestimmung hinweisen, ihre Kritikfähigkeit stärken, Geschlechterrollenzuschreibungen, diskriminierende Strukturen und Klischees hinterfragen helfen und positiv sexuell aufklären.

Die persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Vorbildrolle als Erwachsene_r im Wahrnehmen und Benennen auch der eigenen Gefühle, bleibt die wichtigste Voraussetzung für vorbeugendes Handeln.

Bild von einer Postkarte

Präventionsbereiche

Gefühle

Vertrauen in die eigenen Gefühle ist im Umgang mit Menschen DER entscheidende Selbstschutz. Erwachsenwerden bedeutet nicht Überwindung der eigenen Gefühle, sondern Bewusstwerden und Benennen all der verschiedenen, auch gemischten und widersprüchlichen Gefühle. Ziel ist das Erkennen und Respektieren der eigenen Gefühle und auch der von anderen.

Angenehme und unangenehme Berührungen

Kinder und Jugendliche haben das Recht, über ihren Körper selbst zu bestimmen, zu entscheiden, wer sie wann, wie und wo berühren darf. Im Umgang mit Kindern gilt es, ein Klima zu schaffen, in dem sie erleben, dass ihr Körper einzigartig und schützenswert ist und als solcher wertgeschätzt wird. Alle Kinder brauchen Zärtlichkeit. Aber häufig werden sie selbstverständlich ungefragt berührt. Es liegt in der Verantwortung von uns Erwachsenen, solche ungewollten Berührungen zu verhindern.

Es gibt viele verschiedene Berührungen, die angenehme, unangenehme, komische Gefühle auslösen, die Kinder an sich sehr gut unterscheiden können. Es ist notwendig, sie in ihrer Wahrnehmung dieser Unterschiede zu bestärken, denn bei Übergriffen spielen gerade die „komischen“ Berührungen, die verwirren, eine wesentliche Rolle.

Sexuelle Bildung

Umfassende Sexualerziehung in altersgemäßer Form ist wichtig, damit Kinder und Jugendliche ihren Körper und ihre Sexualität positiv, schön und zärtlich erleben. Sie sollten für alle ihre Körper- und Geschlechtsteile Begriffe haben, die ihnen nicht peinlich sind, in ihren Fragen ernst genommen werden und richtige Antworten erhalten.

Schöne und bedrückende Geheimnisse

Es gibt schöne Geheimnisse, die zu hüten Spaß macht und es gibt bedrückende, komische Geheimnisse, die Angst machen und sich unangenehm anfühlen. Wir können mit Kindern besprechen, dass solche Geheimnisse, die mit Angst und Drohungen verbunden sind, keine Geheimnisse sind, sondern Erpressungen und dass es kein Vertratschen oder Petzen ist, darüber zu sprechen.

Grenzen setzen dürfen

Alle Menschen haben das Recht, Grenzen zu setzen, Nein zu sagen und darin akzeptiert zu werden. Wichtig ist als Erwachsene, die wir immer auch Vorbildfunktion haben, diese eigenen Grenzen sicht- und hörbar zu machen und im Streitfall zu erklären. So können und sollen Kinder und Jugendliche am Modell lernen, dass auch sie Nein sagen dürfen und dieses auch gehört wird.

Hilfe holen ist mutig

Es ist kein Zeichen von Schwäche, sich Hilfe und Unterstützung zu holen, im Gegenteil. Es ist eine wichtige Erfahrung und Information für kleine (und große) Leute, dass es mutig ist, sich Hilfe zu holen und sie das Recht haben, sich auszusuchen, an wen sie sich wenden. Es ist gut, auch die Erfahrung zu besprechen, wenn einem Kind nicht geglaubt wird und Mut zu machen, sich an eine andere Person zu wenden. Dabei gilt es als Erwachsene_r auch, auszuhalten, wenn das Kind sich eine andere Vertrauensperson sucht.

Schuld ist nur die Person, die Grenzen verletzt und andere verwirrt und ausnutzt

Kinder fühlen sich häufig schuldig. Nicht nur, wenn Erwachsene sich streiten oder ungerecht reagieren, sondern auch, wenn etwas „Komisches“, „Geheimes“, Belastendes in der Luft liegt. Hier liegt es in unserer Verantwortung als Erwachsene, Kinder zu entlasten und deutlich zu machen, dass sie nicht schuld sind, wenn jemand eine unangenehme Atmosphäre verbreitet oder sie so berührt oder mit ihnen spricht, wie sie das nicht wollen.

Unterstützung beim Überwinden von einengenden Rollen und Zuschreibungen

Kinder lernen von uns Erwachsenen und aus den Medien, der Sprache und Bildern, die sie umgeben, rollentypische Verhaltensmuster ein, die z. B. Buben mehr Platz einräumen oder Mädchen zu Nachsicht erziehen. Es ist wichtig, dass wir uns selber diese Rollenbilder bewusst machen und versuchen, Kindern aller Geschlechter das ganze Spektrum an Gefühlen und Handlungsspielräumen zu ermöglichen. Und jene Kinder ernstzunehmen, die unter diesen angeblich „normalen“ Verhaltensweisen leiden und sich dagegen wehren. Kinder, die von Gleichaltrigen weggeschubst, sexualisiert oder beleidigt werden, Kinder, die einfach sie selbst sein wollen, brauchen unsere Unterstützung, weil es viel Mut und Kraft braucht, in bestehenden Normen und ungerechten Verhältnissen eigene Wege zu finden.